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Fakten zur Aufführung 

DIE MACHT DER GEWOHNHEIT
(Thomas Bernhard)
18. März 2015
(Premiere am 14. März 2015)

Rheinisches Landestheater Neuss


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Scheitern aus Gewohnheit

Opernnetz, das Magazin für Musiktheater, fasst den Begriff des Musiktheaters bewusst sehr weit. So können Grenzbereiche ausgelotet, Grenzen möglicherweise verschoben werden. Aber ist Theater über Musik auch Musiktheater? Überprüfen lässt sich das dieser Tage an dem Stück Die Macht der Gewohnheit von Thomas Bernhard am Rheinischen Landestheater Neuss. Dem Dramatiker wird eine auffallend hohe Affinität zur Musik bescheinigt. Dazu mögen auch die Libretti in seinem Gesamtwerk beigetragen haben. Das als Komödie deklarierte Stück in Neuss handelt von Musik, genauer von Franz Schuberts Forellenquintett – ohne dass es zur Aufführung käme.

Zirkusdirektor Caribaldi muss ein Trauma bewältigen. Seit 22 Jahren arbeitet er daran, dass die Pferde ihm bei seiner Dressur nicht mehr folgten. Der Therapeut empfahl ihm das Erlernen eines Saiteninstrumentes, und er wählte das Cello. Seither ist sein größter Traum, was ihm als Artist verwehrt blieb: Das Forellenquintett in Perfektion aufzuführen. Die übrigen Mitspieler rekrutiert er kurzerhand aus seiner Zirkustruppe. Das hat, oberflächlich betrachtet, Vorteile. Die Artisten sind – scheinbar – abhängig von ihm, und die tägliche Übung ist gewährleistet. Tatsächlich setzt die Schausteller-Truppe sich zur Wehr, und die Übungsstunden wollen und wollen in der täglichen Routine nicht so recht zu Stande kommen. So entsteht der Wortschwall eines Menschen, der in der Gewöhnung gefangen ist und alle Weisheiten dieser Welt gepachtet hat.

Esther Hattenbach hat die undankbare Aufgabe übernommen, das sperrige Stück auf die Bühne zu bringen, das mehr aus Perseverationen von Allgemeinplätzen als aus komischer Handlung besteht. Sven Schlötcke baut ihr dafür eine zeitlose Bühne. Im Hintergrund der schwarzen Bühne sind überdimensionale Buchstaben aufgebaut, aus denen sich Worte wie Neuss, Neu, Zeus und Neues konstruieren lassen. Auf dem ersten E sitzt Matthias Mainz, der immer wieder so etwas wie jazzige Klänge auf dem Elektro-Piano beisteuert. Werden die beiden Bühnenausgänge hinten links und rechts geöffnet, ertönt dröhnende Disco-Musik. Auf der linken Seitenbühne ist ein Schlagzeug auf einem Wagen untergebracht, der hin und wieder über die Bühne geschoben wird. Das ist so zeit- und raumlos, dass es beliebig wirkt. Fantasievoller sind da schon die Kostüme von Alide Büld. Die unterstreichen den möglichen Grundgedanken von Hattenbach, aus dem Stück eine Farce zu entwickeln. Der Zirkusdirektor in seiden angedeutetem Smoking, der Jongleur in sackartigem Überwurf, der Dolce & Gabanna zur Ehre gereicht hätte, die Enkelin im Dirndl mit Netzstrümpfen, der Dompteur in einer Kluft, die ihn für American Football qualifiziert, der Spaßmacher in einem weißen Ganzkörpertrikot mit seidener Haube und der Musiker auf dem E in „Oberbilker Ballonseide“. Damit hat sich der Gedanke der Farce allerdings auch erschöpft.

Joachim Berger hat die tragende, übermannende und – ermüdende Rolle des Zirkusdirektors übernommen. Er macht seine Sache gut. Aber das ändert nichts daran, dass er mit Allgemeinplätzen, Beschimpfungen seiner Angestellten und Angehörigen auf die Dauer von gut anderthalb Stunden wenig Freunde im Publikum findet. Auch seine „Rock-Einlage“, mit der er – entgegen der Ankündigung des Theaters – aus dem Forellenquintett zitiert, bleibt auf solidem Fundament. Sigrid Dispert mimt die Enkelin, die mit allerlei stereotypen Tanzeinlagen und einem devoten Verhalten in einer ansonsten eher schweigsamen Rolle auffällt. Sie deutet in der Anlage ihrer Rolle ganz üble Hintergründe an, von denen man lieber nichts wissen will. Als Jongleur fungiert Henning Strübbe, der eigentlich den einzigen Dialog mit Caribaldi führt. Er fasziniert in Aussehen und Ausstrahlung. Eher im Hintergrund bleiben Pablo Guaneme Pinila als Dompteur und Michael Großschädl als Spaßmacher.

Dass das Ganze mit einer Wiederholung der Anfangsszene endet, ist redundant und damit überflüssig. Das Publikum, das kaum mehr als ein Drittel des Saals einnimmt, sieht zwar durchaus komische Momente während der Aufführung, beschränkt sich aber beim Schlussapplaus auf das unbedingt notwendige Maß, um den Schauspielern seinen Respekt zu zollen. Im Nullkommanichts sind die Reihen geleert. Die Frage, ob Theater über Musik auch Musiktheater ist, muss hier unbeantwortet bleiben. Das gibt das Stück nicht her.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Björn Hickmann/Stage Picture